Nichtsnutzige Kabinettsteine

In der Pariser Mode gibt es die Prêt-a-Porter und die Haute Couture. Mit der Konfektion verdient man das Geld und durch die Stilisierung treibt man das handwerkliche Können auf die Spitze und schafft damit ein Image. Als Haute Couture sind die sogenannten Kabinettsteine zu verstehen. Völlig nutzlos und unbrauchbar für die Verwendung im Schmuck sind diese überdimensionierten Schliffe in sauberen Quarzen wie Bergkristall oder Rauchquarz gefertigt. Aus den besten Rohsteinen wurde das bestmögliche Ergebnis mit dem größtmöglichen Gewicht geschliffen. Ein Kabinettstein repräsentierte in seiner Übertreibung nicht nur das handwerkliche Können eines Schleifers, sondern auch das künstlerische Bewusstsein für Form und Proportion. Neben der Pflicht, handelt es sich bei diesen Schliffen um die Kür, die man auch als Geniestreich bezeichnen kann.

 

Emil Juchem nutzte diese Darstellungsform zum Experiment und zur Selbsterfahrung. Durch entsprechende Größe waren neue Formen möglich, sowie die mannigfaltigen Anordnungen von Facetten. Der sogenannte NATO-Stern (Abb. rechts), wie Juchem diesen Kabinettstein aus Bergkristall mit den Abmessungen 80 x 58 x 44 mm bezeichnete, zeigt nur nicht eine ungewöhnliche neue Form und Silhouette, sondern die Facettenspiegelungen sollten einen Stern auf der Rückseite erzeugen. Auch der runde Bergkristall, in der Abbildung oben, mit einem Durchmesser von 80 mm und einer Tiefe von 55 mm in einem superlativen Diamantschliff lassen den Schleifer seine Grenzen austesten. Erfahrungen und Erkenntnisse aus dieser Übertreibung wurden dann auf verkäufliche Anfertigungen abgewandelt und übertragen. Häufig findet man in Idar-Obersteiner Edelsteinschleifereien diese Kabinettsteine in den hauseigenen Vitrinen als Aushängehängeschild für das Können des Meisters.

 

Heute empfindet man diese Stücke als hemmungslos, fast kitschig. Swarowski & Co. haben ihren Beitrag in Form von Synthesen zu einer inflationären Entwicklung geleistet. Trotzdem sind Kabinettsteine nicht zu verachten, denn sie sind die Auszeichnung eines talentierten Schleifers, der es versteht sein Handwerk im wahrsten Sinne auf die Spitze zu treiben.