Symmetrische Anpassung

Foto: Markus Ehrhard

 

Symmetrische Anpassung

 

Es ist die Mutation von einem fünf- zu einem vierarmigen Seestern, die sich der strengen Geometrie des Edelsteins anpasst, ganz im Sinn der Darwin’schen Evolutionstheorie. Wandlung führt zur Diversität, Veränderung führt zur Angleichung. Die ungerade Asymmetrie entwickelt sich zu einer geraden Symmetrie.

 

Wir sind nun im Zeitalter des Wissens und nicht mehr in dem des Glaubens. Daher soll es Vermutung bleiben oder auch nur noch Erinnerung sein, wer darin ein pektorales Kreuz sieht.

 

Die Quadratzahl „4“ bildet hier das Ebenmaß von Seestern zu Edelstein. Nur durch diese Anpassung formt sich die Idee zu einem faszinierenden Geschöpf des Meeres.

 

Das eingereichte Schmuckstück wird an einer Lederkette als Anhänger getragen. Die Mutation eines originalen vierbeinigen Seesterns wurde unter einem Vakuum in Silikon abgeformt, danach ein Wachs ebenfalls unter Vakuum gezogen und in einem Hochdruckgussverfahren mit 2 bar in 935er Sterlingsilber gegossen. Anmerkung: Das verwendete Silber ist recyceltes Silber aus der eigenen Fertigung der vergangenen vier Jahre. Der Seestern wurde dabei mit einer Detailgenauigkeit von 1/100stel Millimeter abgeformt. Jede Pore und jede Membran des Originals sind detailgenau abgebildet. Da der Guss mit 538 Gramm sehr massiv ist, konnten keine Lötarbeiten nachträglich am Stück vorgenommen werden. Alle Arbeiten, wie das Setzen der Öse, mussten im Wachsmodell vorgenommen werden.

 

Mittig eingesetzt ist ein brasilianischer Weißer Topas mit einem Gewicht von 58,03 ct und den Abmessungen 19,3 x 19,3 x 19,3 mm. Aus einem Würfel wurde der Topas mit einer quadratischen Tafel und Kalette geschliffen. Das Besondere bei diesem experimentellen Schliff ist, dass sich die Kalette in allen vorderen Facetten entsprechend vierfach spiegelt und optisch ein geordnetes Raster erzeugt.

 

Mit dieser Arbeit ist zum ersten Mal ein Edelstein mittels eines wieder verwendbaren Polymers aus dem Objekt stehend in eine Edelmetalllegierung eingefasst worden. Das weiße Polymer bietet einen hellen Untergrund, wodurch der geschliffene Topas erst seine Reflexionen optimal entwickeln kann.

 


markus ehrhard Im interview

AD: Herr Ehrhard, wie sind Sie auf die Idee gekommen, genau dieses Schmuckstück zu kreieren?

ME: Da haben einfach mehrere Begebenheiten sehr gut zusammengepasst. Der Bundesverband der Edelstein- und Diamantindustrie e.V. in Idar-Oberstein hat im 53. Deutschen Schmuck-und Edelsteinpreis das Thema "Faszinierende Geschöpfe des Meeres" ausgeschrieben. Und das ist ja genau das Thema meiner immer währenden Kollektion. Dann hatte mir mein Vater, der Edelsteinmeisterschleifer Rolf Ehrhard, einen ganz besonderen Weißen Topas im Experiment geschliffen. Der Schliff ist so außergewöhnlich, dass der Stein es verdient in ein besonderes Schmuckstück gesetzt zu werden. Und ich hatte knapp 1 kg 935er Silber aus meinen Arbeiten der vergangenen vier Jahre zur Verfügung und konnte damit sozusagen in die Vollen gehen.

AD: Was ist so außergewöhnlich an diesem Weißen Topas, den Ihr Vater geschliffen hat?

ME: Auf den ersten Blick wirkt der Stein recht einfach und schlicht. Der Edeltopas zeigt im Gegensatz zu anderen elaborierten Schliffen in 8er- oder auch 12er-Teilung mit seiner 4er Einteilung eine geringe Anzahl an Facetten. Mein Vater hatte zunächst einen Würfel geschliffen und, einer strengen Geometrie und der Zahl "4" folgend, immer etwas Material weggeschliffen. Herausgekommen ist ein Edelstein mit 58,03 ct und einem faszinierenden Spiel an Reflexionen, die die quadratische Kalette, also die flache Facette der Rückseite, in allen vorderen Facetten entsprechend spiegeln. Wie in der Op-Art, erzeugt dieser experimentelle Schliff ein geordnetes Raster und eine beeindruckende Brillants.

 

AD: Und wie sind Sie dann darauf gekommen, diesen Stein in einen Seestern zu setzen? Beide Komponenten passen ja nicht gerade zueinander.

ME: Und genau aus diesem Grund habe ich einen vier- und nicht fünfarmigen Seestern verwendet. In der Darwin'schen Evolutionstheorie geht es um Anpassung, sprich, die Veränderung seines Ursprungs erzeugt Diversität. Oder, anders gesagt, ein natürlich gewachsener Seestern hat bekannterweise fünf Arme. Und das hätte zu diesem geometrisch klar definierten Edelstein einfach nicht gepasst. Dieses Schmuckstück trägt den Titel "Symmetrische Anpassung" und nur die Mutation, also eben diese Diversität, zu einem vierarmigen Seestern erlaubt es, eine harmonische Symmetrie und etwas absolut Neues zu erzeugen.

AD: Ist dieser Seestern nun versilbert oder ist er in Silber gegossen?

ME: Der echte Seestern ist von seiner natürlichen Beschaffenheit einfach zu porös, um versilbert als Schmuck getragen werden zu können. Im Umsetzungsprozess habe ich mit den beiden besten Gussfirmen gearbeitet. Der echte Seestern wurde in der einen Firma unter Vakuum in Silikon originalgetreu abgeformt. Danach wurde in einer zweiten Gießerei aus dieser Form ein Wachsmodell, ebenfalls unter Vakuum, gegossen. Mit dieser Methode ist der Seestern auf 1/100stel Millimeter detailgenau abgebildet und sieht in der Tat wie ein echter Seestern aus. Man kann jede Pore und jede Membran sehen. Da der Seestern sehr massiv ist, sind eine spätere Bearbeitung, wie Lötarbeiten, an einem so großen Objekt nicht mehr möglich ist. Elemente, wie die Aufhängeröse oder der Hohlraum für die Fassung und dem Edelstein, musste daher zuvor im Wachs moduliert sein.

 

AC: Sie sagten einmal, dass Sie am liebsten an einem Strand spazieren gehen und die gefundenen Dinge ein Füllhorn an Inspiration und an Ideen für Sie darstellen. Wo haben Sie nun diesen Seestern gefunden?

ME: Ich weiß, dass ich diesen Seestern einmal aus Florida mitgebracht habe. Ich weiß aber leider nicht mehr, ob ich ihn tatsächlich dort am Strand gefunden oder in einem Muschelladen gekauft habe. Die Idee für meinen Männerschmuck wurde übrigens am Strand von Flagler Beach in Florida geboren. Ich hatte mir dort einmal für ein zwei Dollar eine Surfer-Kette mit einem echten Haizahn gekauft und diese riss nach dem ersten Bad im Meer. Ich ärgerte mich dadurch ausgelöst eigentlich mehr über mich, denn ich hatte bis dato immer nur für andere meine Kreativität gegeben, aber nie für mich selbst. Und so fertigte ich zu Hause, in der Idee der Aufwertung, einen Haizahn in Silber für mich zu fertigen. Und dieser Zahn wurde dann auch zu meinem Firmenlogo. Der Seestern hingegen lag dann über viele Jahre in meinem Kuriositätenkabinett, zusammen mit den Pfeilschwanzkrebsen, dem riesigen Megalodon-Haizahn, den ich ja auch einmal in Silber gegossen habe, diversen Phallusskulpturen oder der von HR Giger entworfenen Alien-Figur.

 

AC: Auf den ersten Blick sieht man doch ein Kreuz in dem Anhänger, oder nicht?

ME: Man sieht es nicht, man meint ein Kreuz zu sehen. Wir leben ja nun im Zeitalter des Wissens und nicht mehr in dem des Glaubens. Bewusst habe ich das Schmuckstück wie ein Pektoral gestaltet. Es soll an die uns bekannte Form eines Kreuzes erinnern, es ist aber keins. Der vertraute Anblick, dass es sich um ein Kreuz handeln soll, soll Vermutung sein oder Erinnerung bleiben. Symbolisch gesehen, zeigt dieses Schmuckstück den Schritt in dieses neue Zeitalter.

 

AC: Neu ist auch die Fassung, in die Sie den Edelstein gesetzt haben. Wie sind Sie dazu gekommen und worum handelt es sich dabei?
ME: Ich arbeite ja immer State of the Art und experimentiere immer mit den neuesten Technologien und mit damit verbunden auch mit den neuesten Materialien. Das habe ich aus meiner Zeit als Modedesigner übernommen. Aus dem Bereich des Prothesenbaus habe ich einen leichten weißen Kunststoff gefunden, der durch Erhitzung formbar wird und nach dem Abkühlen eine enorme Stabilität aufzeigt. Diese Fassung aus Polymer ist essentiell bei diesem Schmuckstück. Der Bergkristall sitzt ja in diesem massiven Silberguss und erhält darin kein Licht von unten oder den Seiten. Dieser Schliff zeigt aber seine großartige Reflektion erst dann, wenn er von allen Seiten Licht sozusagen "umlichtet" ist, und so musste der Stein vor einen weißen Hintergrund gesetzt werden. Und diese Voraussetzung erfüllte nur dieser neu entwickelte Kunststoff. Der Edelstein ist übrigens herausnehmbar, denn dieses Polymer ist zwar enorm stabil und formbeständig, zeigt sich aber auch flexibel.

 

AC: Sie haben ja bereits des Öfteren mit Fremdmaterialien gearbeitet.

ME: In der Tat. Nachdem meine ersten natürlichen Objekte, wie der Haizahn, Muscheln, Krebsscheren oder auch die Zähne einer Vogelspinne, im Prozess des Abformens durch Vulkanisieren in den Gummiformen verbrannt sind, habe ich ein Silikon gesucht, das nach kürzester Zeit ab Objekt abbindet und so eine Gussform entstehen lässt. Bei einem Hersteller für Erwachsenen-Spielzeug habe ich dann ein Silikon gefunden, das objektschonend innerhalb von 15 Minuten abbindet. Aus diesem Grund sind diese Gussformen immer noch fleischfarben.

 

AD: Offensichtlich sind in diesem Schmuckstück eine Menge Erfahrungen verarbeitet.

ME: Dem ist so und auch nicht. Ich habe sehr viel Zeit, insgesamt sieben Wochen in diese komplexe Entwicklung gesteckt. Wie gesagt, dieses Schmuckstück soll Symbol für ein neues Zeitalter sein. Da stecken natürlich all meine Erfahrungen der letzten Jahrzehnte drin, aber auch sehr viel Neues. Und sehr viel hat nicht in der Umsetzung funktioniert. Wir mussten zum Beispiel zweimal gießen. Zudem hatte ich mir auch noch in die Hand gefräst, da konnte ich eine Woche lang nicht weiterarbeiten. 

 

AC: Und dann haben Sie das Schmuckstück dem 53. Deutschen Schmuck-und Edelsteinpreis in Idar-Oberstein eingereicht. Waren Sie siegessicher oder gilt für Sie "Dabeisein ist alles"?

ME: Weder noch. Wie zu Beginn gesagt, das Ausschreibungsthema, der Stein meines Vaters und mein Material haben einfach zusammengepasst. Und ich fühlte mich der Herausforderung gewachsen und hatte, wie übrigens immer, Lust etwas Neues zu schaffen. Ich hatte zudem zwei weitere Arbeiten eingereicht, die Porzellanmuschel mit dem Aquamarin und den verästelten Armreif mit den beiden Amethysten und dem Palmera Citrine. Diese skulpturalen Stücke erfüllten nur leider nicht die Vorgabe, Edelstein mit Edelmetall zu kombinieren. Mir dann aber nachzusagen, dass ich unter dem Motto "Dabeisein ist alles, nur um Aufmerksamkeit zu erregen" finde ich unangebracht meiner Arbeit und meiner Person gegenüber. Ich darf behaupten, dass ich so reflektiert bin, dass ich nur dann etwas rausgebe, wenn es auch wirklich gut ist. Sie bekommen von mir nichts halbherziges und immer etwas Neues oder auf eine neue Art Gemachtes.

 

AC: Sie erzählten im Vorgespräch, dass man den Armreif Chromophor damit verglichen hat, dass das auch ein Fünfjähriger mit Knete machen kann?

ME: Natürlich kann das jedes Kind. Nur mit dem Unterschied, dass der Fünfjährige Schelte dafür bekommt, dass er die Steine vom Vater eingesetzt hat und mein Vater sehr stolz auf auf mich ist, wie ich seine Steine in ein Design gesetzt habe. Kreativität ist kein Talent, sondern eine Handhabung und eine Geschicklichkeit, die auch spielerisch sein kann.

 

AC: Und was halten Sie nun vom Siegerstück?

ME: Ich beglückwünsche natürlich alle Preisträger. Meine Prognose, dass ein Krake gewinnen wird, bestätigte sich. Ich tippte eher auf eine aufwendige Gravur in einem außergewöhnlichen Stein. Ein Kraken-Anhänger der einen Aquamarin hält hat gewonnen, nun gut. Schauen Sie mal auf Etsy, da gibt es eine eigene Schmuckkategorie mit Kraken die Perlen und andere Edelsteine halten. Ich habe mit meiner Arbeit offensichtlich nicht den Zeitgeist getroffen...und das bestätigt mich, dass ich mit meiner Idee, meinem Design, meiner Philosophie und meiner technischen und materiellen Innovation der Zeit voraus bin.

 

AC: Werden Sie im kommenden Jahr wieder ein Schmuckstück einreichen?

ME: Wohl kaum.

 

AC: Ehrlich? Sie sind wirklich nicht enttäuscht in der Vorrunde ausgeschieden zu sein?

ME: Nein. Als Designer befinde ich mich jeher 24/7 in der Situation von Wettbewerb und Bewertung. Wer mit Ablehnung oder, wenn man jemandem nicht gefällt, nicht umgehen kann, ist falsch in diesem Beruf. Und für mein eigenes Ego brauche ich keine Bestätigung, ich hatte ja bereits die ein und andere Auszeichnung in meiner Laufbahn erhalten. Von daher eine bewusst ausgeführte Übung für mich, keine Erwartungshaltung zu haben. Ich weiß genau, was ich geleistet habe, und ich durch diese Arbeit mein Design auf ein neues Level gehoben habe, das auf dem aller neuesten Stand der Umsetzung ist. Und darauf bin ich sehr stolz und ich bin sehr dankbar!

 

 

Das Interview führte Andreas Christ